Casa Luna wird als Unterstützung für Kinder mit belasteten Lebensgeschichten präsentiert. Die Realität ist aber, dass in der „Clearingphase“ Kinder mit familiengerichtlichem Beschluss – also unter Zwang und gegen ihren Willen – aufgenommen werden sollen. Das ist Freiheitsentzug und ein scharfer Grundrechtseingriff. Das ist ein gefährlicher Rückschritt in eine Pädagogik, in der nicht die Bedürfnisse der Kinder, sondern die der Erwachsenen im Zentrum stehen.
Freiheitsentziehende Maßnahmen an Kindern und Jugendlichen sind keine Hilfe. Sie sind institutionalisierte Gewalt.
Unsere Position ist unmissverständlich
Wir bei K.I.N.D. e.V. kennen die brutale Realität hinter solchen wohlklingenden Konzepten. Als Überlebende der Haasenburg haben wir am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet in solchen Heimen gegen unseren Willen untergebracht zu werden: systematische Retraumatisierung, Missbrauch, zerstörte Biografien.
Und auch unabhängige Expert*innen sind sich einig, dass FEM wie ein Brandbeschleuniger auf bestehende Traumata wirkt. Statt Sicherheit und Schutzräume zu schaffen, erzeugen sie neue Krisen. Statt Vertrauen aufzubauen, zerstören sie es endgültig in einem Setting der Ohnmacht.
Es gibt keine „gute“ Art, Kinder einzusperren. Es gibt keine legitime Rechtfertigung für solche Grundrechtseingriffe. Freiheitsentzug setzt zwangsläufig ein Machtverhältnis voraus, in dem institutionelle Gewalt strukturell angelegt ist.
Die Illusion der „offenen geschlossenen Einrichtung“
Wenn Kinder nicht selbstständig das Gelände verlassen können und ein Pförtner rund um die Uhr die Tür kontrolliert – dann ist die Einrichtung geschlossen. Punkt.
Wenn Kinder nicht gehen können, wann sie wollen, leben sie in Gefangenschaft. Die Umbenennung in „Clearing mit besonderem Schutzkonzept“ oder ähnliche Euphemismen ändern nichts daran: Freiheitsentzug bleibt Freiheitsentzug und ist nicht mit dem Recht des Kindes auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit nach § 1 (1) SGB VIII vereinbar.
Diese semantischen Täuschungsmanöver verfolgen den Zweck, die kritische Öffentlichkeit zu beruhigen, sie dient als Schutzbehauptung und rechtlicher Grauzonen zugleich. Für die betroffenen Kinder bedeutet das in der Praxis: totale Fremdkontrolle, soziale Isolation und vollständige Machtlosigkeit.
Wie soll unter diesen Bedingungen Kindeswohl gewährleistet werden?
Was FEM tatsächlich bewirken
Kinder, die bereits Gewalt und Ohnmacht erlebt haben, durchleben in geschlossenen Einrichtungen exakt diese Muster erneut – diesmal „legal“ und im Namen der Hilfe, ohne Möglichkeit sich zu entziehen.
Wer gegen seinen Willen eingesperrt wird, reagiert mit Verzweiflung, Wut oder Resignation. Diese natürlichen Reaktionen auf Gewalt werden als „Verhaltensauffälligkeit“ pathologisiert und mit noch mehr Kontrolle beantwortet. Ein perfider Teufelskreis, der IMMER zu Lasten des Kindes geht.
Echte Entwicklung braucht Selbstwirksamkeit: das Erleben, dass eigene Entscheidungen Konsequenzen haben und respektiert werden. Sie braucht Beziehungen, in denen Grenzen beidseitig gelten. Sie braucht die Erfahrung, dass die eigene Stimme gehört wird und wichtig ist.
In geschlossenen Einrichtungen lernen Kinder das Gegenteil: Ihre Bedürfnisse werden systematisch übergangen. Ihr Wille ist irrelevant. Entscheidungen werden über ihre Köpfe hinweg getroffen – unabhängig davon, was sie denken oder fühlen. Das widerspricht grundlegend dem, was entwicklungspsychologisch notwendig wäre, um wirkliche Hilfe zu gewährleisten.
Die Folgen zeigen sich langfristig durch Schwierigkeiten tragfähige Beziehungen aufzubauen, weil Nähe mit Kontrollverlust assoziiert wird. Tiefes Misstrauen gegenüber Hilfsangeboten, weil frühere „Hilfe“ mit Zwang verbunden war.
Überdurchschnittlich häufig leiden Betroffene die solche Institutionen durchlebt haben an Depressionen, Angststörungen, Suchterkrankungen und einem erhöhtem Suizidrisiko.
Nicht weil sie vorbelastet in diese Einrichtungen eingesperrt wurden, sondern weil sie dort eingesperrt wurden.
Was als „Hilfe zum Kindeswohl“ konzipiert ist, produziert in sehr vielen Fällen Menschen, die jahrzehntelang therapeutische Unterstützung benötigen – sofern sie überhaupt noch in der Lage sind, Vertrauen aufzubauen und Hilfe anzunehmen.
Die Kosten dieser Politik sind nicht nur finanzieller Natur. Sie werden vor allem von den Betroffenen selbst getragen, häufig ein Leben lang.
Was wirklich gebraucht wird
Die Millionen für Casa Luna müssen in echte, gewaltfreie Hilfsangebote fließen!
- Mobile Kriseninterventionsteams mit 24/7-Erreichbarkeit
- Intensive Einzelbetreuung in offenen, selbstgewählten Settings
- Traumatherapie ohne Zwangskontext
- Therapeutische Kleingruppen (max. 4-5 Kinder) ohne jede Form von Zwang
- Peer-Support durch Menschen mit Betroffenheitserfahrung
- Präventive Netzwerke, bevor Krisen eskalieren
Diese Alternativen existieren! Und sie funktionieren auch noch nachweislich besser.
Sie brauchen nur politischen Willen und die Mittel, die aktuell in geschlossene Einrichtungen regelrecht verschwendet werden.
Unser Appell
Kinder brauchen Schutz – aber nicht durch Einsperren.
Sie brauchen Unterstützung – aber nicht durch Zwang.
Sie brauchen Sicherheit – aber nicht durch Entrechtung.
Die Geschichte hat uns gelehrt, wohin geschlossene Einrichtungen führen. Der Skandal der Haasenburg ist kein Einzelfall – er ist das logische Ergebnis eines Systems, das auf Macht statt auf Beziehung setzt. Diese Lektion darf nicht vergessen werden.
Wir, die Überlebenden, sind der lebende Beweis dafür, was diese Einrichtungen anrichten. Unsere Erfahrungen sind keine Einzelschicksale, sondern systemische Folgen einer Politik, die Grundrechte von Kindern systematisch missachtet.
Deshalb werden wir nicht schweigen. Wir werden genau hinsehen, kritisch nachfragen und öffentlich Stellung beziehen. Wir werden versuchen zu verhindern, dass eine neue Generation von Kindern durchmachen muss, was wir durchgemacht haben.
Casa Luna kann nur dann Teil der Lösung sein, wenn es auf freiheitsentziehende Maßnahmen verzichtet.
Alles andere ist ein Rückfall in ein System, das bereits gescheitert ist. Und es ist gut, dass es scheiterte.
K.I.N.D. e.V.
Kritische Impulse in der Kinder- und Jugendhilfe
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